Let’s get personal: Der Stein in mir. Meine Depression und ich


Du liegst da wie ein Stein. Regungslos. Nichts geht mehr. Du willst schreien. Weinen. Aber es passiert… Nichts. Leere, Schmerz. Das ist alles was du fühlst. Aber ansonsten… Nichts. Das ist meine Depression.

Gucke ich mir heute Fotos von früher an sehe ich diese Leere in meinen Augen. Spüre diese Leere aus so vielen Momenten wieder, erinnere mich an sie. Aber heute kann ich sie zuordnen, sie verstehen. Oder eben auch nicht. Depressionen verstehen, sich selber oder anderen erklären warum man sich gerade so fühlt ist schwer, wenn nicht gar unmöglich. Es ist einfach so. Das zu akzeptieren ist schwierig. Für sich selber und noch mehr für andere.

Vor über einem Jahr hat man bei mir eine mittelschwere bis schwere Depression diagnostiziert. Eine Erlösung. Und eigentlich wollte ich schon viel länger darüber schreiben, denn ich bin der festen Überzeugung, dass Aufklärung wichtig ist. Für Betroffene und Angehörige. Aber ich finde erst jetzt die Worte, vielleicht weil gerade wieder eine depressive kurze Episode zu Ende geht.

Als ich mich am 4. August letzten Jahres selber in die Psychiatrie einwies gab es für mich keinen anderen Weg mehr. Eine innere Stimme leitete mich dorthin, nachdem ich den Vormittag über mehrfach zusammen gebrochen bin. Der Höhepunkt nach immer häufigeren Hochs und Tiefs in den Monaten zuvor. Ich dachte einfach, dass ich ein Burnout hätte. Arbeit, Studium… das war alles ein bisschen viel. Und sicher trug auch alles seinen Teil dazu bei. Aber nach ersten Gesprächen mit meinen Ärzten dort und der Diagnose wurde mir schlagartig klar, dass ich eigentlich schon seit 10 Jahren an dieser Krankheit litt.

Warum und wieso jemand Depressionen bekommt, das weiß man nicht. Auch ich weiß es nicht. Es gab vieles, was sie begünstigte und in vielen Fällen ist diese Krankheit auch vererbbar. Aber sie ist da und ich konnte es immer überspielen und selber gar nicht wahrnehmen. Jeder, dem ich während der sechs Wochen in der Klinik erzählte wo ich gerade bin, dachte ich verarsche ihn. Niemand dachte, dass ich so fröhliches Mädchen Depressionen haben könnte. Aber wie sollte es auch jemand sehen? Hatte oder habe ich eine depressive Phase dann blieb ich einfach liegen. Man kann sich gar nicht vorstellen wie es ist, tagelang ans Bett gefesselt zu sein und nicht aufstehen zu können, obwohl der Körper doch mechanisch intakt war. Das schlimmste bei mir ist jedes Mal gewesen, dass mein Kopf nur vor Ideen, Visionen, ja Tatendrang sprühte. Aber der schwere Körper, der sich wie ein Fels einfach nicht bewegen lassen wollte, hielt mich ab. Meist schaffe ich es dann doch, irgendwann aufzustehen. Mich hinzusetzen, an meinen PC mit dem festen Glauben, dass mein Kopf nun über meinen Körper siegte. Doch dann: Leere. Schreckliche Leere, die einen urplötzlich nicht mehr denken lässt. Gar nichts mehr machen lässt. Nur noch starren. Den Kopf auf den Tisch legen. Manchmal eine Träne die Wange runter kullern lassen. Aber eigentlich nur Leere und keine Kraft mehr wirklich weiter zu existieren. Froh, überhaupt noch Kraft zum Atmen zu haben. Und dabei irgendwie der Außenwelt zeigen, dass alles ok ist. Alle weiter in dem Glauben lassen, dass das Bild von der jungen, starken, ambitionierten jungen Frau, das sie haben, wahr ist.

Und es ist auch wahr. Es ist aber eben nur das halbe Bild.

Ob die Depressionen jemals verschwinden weiß ich nicht. Aber die Erkenntnis, dass sie da sind, war ein Segen. Mich plötzlich selber verstehen können, mich und mein Verhalten auch rückwirkend verstehen können, das ist eine Befreiung. Für mich und auch für meine Freunde. Denn sie wissen heute was mit mir los ist. Wissen meine stummen Hilferufe zu deuten und sind dann einfach da. Und das ist bei Depressionen und vor allem bei mir, das einzige was neben der professionellen Hilfe und Medikamenten wirklich hilft. Menschen, die mich kennen und einfach sagen: ich bin da für dich. Denn meist gibt es gar keinen Grund für eine depressive Episode. Sie ist einfach da. Es ist kein Unglücklichsein, kein negatives Ereignis. Das ist das heimtückische: Sie ist einfach plötzlich da.

Manchmal gibt es natürlich auch Gründe. Mein Umzug nach Berlin Anfang Oktober war der letzte. Ein Entschluss, der richtig war. Ich freute mich auf den Umzug und bereue es bis heute auf keinen Fall. Aber das Ende der Tübinger Zeit nach sechs Jahren, eine Zeit die mich sehr prägte und der Beginn von etwas ganz neuem, ganz allein in einer anderen Stadt, nicht wirklich nah, weder an Tübingen, noch an Hamburg, das kostet emotionale Kraft. Sehr viel Kraft. Und da macht dann der Körper wieder nicht mit. Aber heute zu wissen, was der Grund für meine körperlichen Reaktionen und meine Gedanken ist, ist ein Segen. Ich weiß jetzt, dass es meine Krankheit ist. Und ich weiß auch, dass es wieder vorbei geht. Dass ich mir Zeit geben muss und ich weiß, wie ich mir selber helfen kann. Und ich habe Menschen um mich herum die mir helfen. Offen zu sein und sich selber verstehen lernen sind für mich das Wichtigste im Umgang mit meiner Depression. Und der gute Start in Berlin, und die Herzlichkeit, die ich bei meinen beiden kurzen Besuchen im Oktober und jetzt gerade in Tübingen, meiner Herzheimat, erfahre, geben mir ganz viel Kraft. In der Hoffnung, dass der Kopf voller Ideen und Visionen in Zukunft viel viel häufiger über meinen Körper siegt.

Das letzte Jahr, das Jahr nach der Diagnose war mit eines der schönsten Jahre meines Lebens. Und ich bin schrecklich dankbar um die Menschen, die mich in diesem Jahr begleitet haben und immer für mich da waren. Ich danke Euch aus tiefstem Herzen.

Es geht mir gut. Das Leben, es ist wunderbar.

  • 7. November 2015

7 Comments

Sophia
Reply 7. November 2015

Vielen Dank für deine Offenheit! Es tut gut, zu lesen, dass es auch anderen jungen Frauen so geht und ich habe manchmal das Gefühl, dass es gerade diejenigen sind, die immer lächeln und alles schaffen und bei denen alles perfekt zu laufen scheint, die innerlich gar nicht okay sind! Ich habe mich auch sehr lange regelrecht durch's Studium gequält (natürlich mit Bestnoten), bevor ich eingesehen habe, dass es nicht mehr geht und eine Therapie begonnen habe! Davon wissen nur meine engsten Freunde, weil ich das Gefühl habe, dass psychische Krankheiten immer noch ein Tabu sind. Daher danke ich dir umso mehr für diesen bewegenden Text!

    anncathrin
    Reply 7. November 2015

    Danke liebe Sophia,

    ich bin damit von Anfang an sehr offen umgegangen und einige warnten mich davor. Aber ich habe niemals negative Erfahrungen gemacht. Es waren eher Leute sehr froh, dass ich es einfach so offen und spontan erzählen - woraufhin sie mir dann auch gestanden, dass sie selber in Therapie sind. Ihre Erleichterung war ihnen förmlich anzusehen.

    Liebe Grüße,
    Ann Cathrin

Nadine (Zwischen windeln und Wahnsinn)
Reply 7. November 2015

Ich finde es sehr mutig, dass Du so offen darüber schreibst. Viele verschweigen eine solche Krankheit, weil man nicht ernst genommen wird, weil man Angst hat, weil man nach außen hin stark wirken will. Deswegen finde ich es toll, dass Du uns daran teilhaben lässt, wie es Dir geht. Es macht sicher vielen anderen Mut.

Liebe Grüße

Nadine

    anncathrin
    Reply 7. November 2015

    Danke Dir liebe Nadine!

Benjamin
Reply 9. Januar 2016

Danke fürs Teilen deiner Gefühle und Erfahrungen zu dem Thema. Kann so einiges nur all zu gut nachempfinden. Bisher habe ich ich dich auf FB sehr positiv wahrgenommen. Das macht mir im Zusammenhang mit diesem Post doch etwas Mut, dass man auch langfristiger aus diesem Loch raus kommen kann. Weiterhin viel Erfolg bei deinem Umgang damit.

    anncathrin
    Reply 9. Januar 2016

    Danke Dir!

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